Eine von einem Chirurgen
durchgeführte Haarwurzeltransplantation kann als ärztliche Heilbehandlung
umsatzsteuerfrei sein, wenn der Patient unter einem sog. vernarbenden
Haarausfall oder unter einem sog. hereditären, von Geburt an bestehenden
Haarausfall leidet. Handelt es sich hingegen um eine androgenetische, also
hormonbedingte, Haarlosigkeit, wird eine umsatzsteuerfreie Heilbehandlung nur
dann zu bejahen sein, wenn der Haarausfall entstellend wirkt oder zu
(psychischen) Folgeerkrankungen führt. Hintergrund: Ärztliche
Heilbehandlungen sind umsatzsteuerfrei. Sachverhalt: Der Kläger
war Chirurg und führte Haarwurzeltransplantationen durch. Seine Patienten
litten unter androgenetischer (hormonbedingter) oder hereditärer (vererbter,
von Geburt an bestehender) oder vernarbender Haarlosigkeit, die durch eine
Entzündung hervorgerufen wird. Der Kläger erklärte seine Umsätze zu 90 % als
umsatzsteuerfrei. Das Finanzamt erkannte die Umsatzsteuerfreiheit nur bei den
Haarwurzeltransplantationen im Bereich der vernarbenden Haarlosigkeit an. Das
Finanzgericht (FG) hielt auch die Diagnosetätigkeit des Klägers für
umsatzsteuerfrei.Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) hielt eine weitergehende Umsatzsteuerfreiheit für
denkbar, hat die Sache aber zur weiteren Aufklärung an das FG zurückverwiesen:
Eine Haarwurzeltransplantation
kann einen therapeutischen Zweck erfüllen, auch wenn sie weder der Heilung der
Haarlosigkeit noch der Behandlung der Ursachen der Haarlosigkeit dient, sondern
nur die Folgen der Haarlosigkeit beseitigt. So stellt Haarlosigkeit eine
Krankheit dar, die einer ärztlichen
Behandlung bedarf, wenn es sich um eine sog. hereditäre
Haarlosigkeit handelt. Bei dieser Erkrankung fehlen dem
Betroffenen bereits ab der Geburt Haare. Haarlosigkeit ist auch dann
eine Krankheit, wenn es sich um eine vernarbende
Haarlosigkeit handelt. Der Grund für die Haarlosigkeit ist
eine Entzündung, die die Haarfollikel vernarben und auf diese Weise die Haare
ausfallen lässt. Ferner ist eine Erkrankung
anzunehmen, wenn die Haare infolge eines Unfalls, einer
Verletzung oder aufgrund einer anderweitigen Entzündung im
Körper ausfallen. Anders ist dies jedoch bei der
sog. androgenetischen Haarlosigkeit, die
hormonbedingt eintritt. Denn sie betrifft die Mehrheit der Menschen und stellt
daher einen normalen Zustand dar. Ein dem
Alter entsprechendes (haarloses) Aussehen kann nicht als Krankheit angesehen
werden. Eine Haarwurzeltransplantation wird in einem solche Fall regelmäßig
aus kosmetischen und daher nicht aus medizinischen
Gründen erfolgen und ist damit umsatzsteuerpflichtig. Eine
aus medizinischen Gründen erfolgende Haarwurzeltransplantation kann aber dann
angenommen werden, wenn der Haarausfall entstellend wirkt oder aber zu
Folgeerkrankungen, insbesondere im psychischen Bereich, führt.
Hinweise: Der BFH hat die
Sache zur weiteren Aufklärung an das FG zurückverwiesen. Das FG muss nun
aufklären, inwieweit der Kläger Haarwurzeltransplantationen aus medizinischen
Gründen durchgeführt hat. Dabei trägt der Kläger die Beweislast, da er die
Umsatzsteuerfreiheit begehrt. Der Kläger muss somit nachweisen,
in welchen Fällen er eine hereditäre oder vernarbende Haarlosigkeit behandelt
hat; denn hier ist ein therapeutischer Zweck anzunehmen. Soweit der Kläger hingegen
Haarwurzeltransplantationen in Fällen der androgenetischen Haarlosigkeit
durchgeführt hat, muss er eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung eines
Facharztes vorlegen, aus der sich die fachlich-medizinische Beurteilung des
Krankheitsbildes (Diagnose), der Schweregrad der Erkrankung und die
entstellenden oder psychischen Folgen der androgenetischen Haarlosigkeit
ergeben; außerdem muss diese Bescheinigung Angaben dazu enthalten, auf welcher
tatsächlichen Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist und welche
Methode der Tatsachenerhebung angewandt worden ist. Der Kläger, d.h. der
transplantierende Arzt, darf diese Bescheinigung nicht selbst erstellen, weil
er sonst selbst über die Umsatzsteuerfreiheit entscheiden könnte. Quelle: BFH, Urteil vom 25.9.2024
– XI R 17/21; NWB