Hat ein Bauträger zu Unrecht die Umsatzsteuer für den leistenden
Bauunternehmer nach dem sog. Reverse-Charge-Verfahren an das Finanzamt
abgeführt und fordert er jetzt die Umsatzsteuer vom Finanzamt zurück, kann sich
das Finanzamt die zivilrechtliche Forderung des leistenden Bauunternehmers auf
Zahlung des Umsatzsteuerbetrags abtreten lassen und mit dieser Forderung gegen
den Erstattungsanspruch des Bauträgers aufrechnen. Soweit die zivilrechtliche
Forderung des Bauunternehmers streitig ist, muss das Finanzgericht den
zivilrechtlichen Streit als Vorfrage der Zulässigkeit der Aufrechnung
klären.
Hintergrund: Bei Bauleistungen
unter Unternehmern gilt grundsätzlich das sog. Reverse-Charge-Verfahren, d. h.
Umsatzsteuerschuldner ist der Leistungsempfänger (Auftraggeber). Nach
Auffassung der Finanzverwaltung galt dies ursprünglich auch bei Bauleistungen
an einen Bauträger, der unbebaute Grundstücke bebaut und anschließend verkauft.
Im Jahr 2013 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) aber, dass das
Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen an einen Bauträger nicht gilt, weil
der Bauträger selbst keine Bauleistungen erbringt, sondern nur Grundstücke
verkauft. Daraufhin beantragten viele Bauträger die Erstattung der von ihnen zu
Unrecht entrichteten Umsatzsteuer. Die Finanzämter versuchten in diesen Fällen,
die Umsatzsteuer von den Bauunternehmern zu erhalten. Der Gesetzgeber hat die
Rückabwicklung dieser Fälle gesetzlich geregelt und u.a. eine Abtretung des
zivilrechtlichen Anspruchs des Bauunternehmers gegen den Bauträger auf Zahlung
des Umsatzsteuerbetrags, der für die Bauleistungen entsteht, vorgesehen.
Sachverhalt: Eine Bauträgerin
ließ im Jahr 2013 von Bauunternehmern Bauleistungen für ihre Bauprojekte
ausführen. Sie ging einvernehmlich mit den Bauunternehmern davon aus, dass das
sog. Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden sei, so dass die Bauträgerin die
Umsatzsteuer für die Bauunternehmer an das Finanzamt abführte. Der BFH
entschied noch im Jahr 2013, dass das Reverse-Charge-Verfahren bei
Bauleistungen an Bauträger grundsätzlich nicht gilt. Daraufhin beantragte die
Bauträgerin im Jahr 2014 die Erstattung der von ihr für die Bauunternehmer
entrichteten Umsatzsteuer. Das Finanzamt ließ sich nun von den Bauunternehmern
deren zivilrechtlichen Ansprüche auf Zahlung des jeweiligen Umsatzsteuerbetrags
auf die Bauleistungen abtreten. Anschließend rechnete das Finanzamt mit den
abgetretenen zivilrechtlichen Ansprüchen gegen den Erstattungsanspruch der
Bauträgerin aus der Umsatzsteuer 2013 auf. Die Bauträgerin war damit nicht
einverstanden und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des von ihr
beantragten Abrechnungsbescheids. Das Finanzgericht gab diesem Antrag gegen
Sicherheitsleistung statt. Gegen den stattgebenden Beschluss legten sowohl die
Bauträgerin als auch das Finanzamt Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Entscheidung: Der BFH gab beiden
Beschwerden statt und verwies die Sache an das FG zurück:
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Das FG durfte dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht
mit der Begründung stattgegeben, dass es bislang ungeklärt sei, ob ein
Finanzgericht bei Aufrechnungen des Finanzamts mit zivilrechtlichen Forderungen
auch über die zivilrechtlichen Vorfragen entscheiden dürfe. Denn tatsächlich
ist es bereits vom BFH geklärt, dass ein Finanzgericht auch die
zivilrechtlichen Vorfragen im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der
Aufrechnung mitprüfen muss. So muss das Finanzgericht etwa prüfen, ob die
Forderung des Bauunternehmers bereits verjährt ist oder ob der Bauträger ein
Zurückbehaltungsrecht ausüben kann. -
Das FG muss im zweiten Rechtsgang nun diese
zivilrechtlichen Vorfragen klären. Sollte es
Bedenken haben, dass der Bauunternehmer einen fälligen Anspruch gegen die
Bauträgerin auf Zahlung des noch ausstehenden Umsatzsteuerbetrags hat, wird es
dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattgeben und über die Anordnung
einer Sicherheitsleistung entscheiden müssen.
Hinweise: Der Bundesgerichtshof
hat in den sog. Bauträger-Fällen dem Grunde nach einen zivilrechtlichen
Anspruch des Bauunternehmers auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrags bejaht. Hat
der Bauunternehmer also eine Bauleistung für ein Entgelt von 10.000 €
zuzüglich 1.900 € Umsatzsteuer erbracht und der Bauträger zunächst die
Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, die er nun aber wieder vom Finanzamt
zurückfordert, kann der Bauunternehmer jetzt die 1.900 € vom Bauträger
verlangen. Allerdings setzt dieser Anspruch voraus, dass auch die übrigen
Voraussetzungen eines zivilrechtlichen Anspruchs bestehen und der Bauträger
weder die Einrede der Verjährung erheben noch ein Zurückbehaltungsrecht ausüben
kann.
Beide Beschwerden hatten Erfolg, da der BFH den stattgebenden
Beschluss mit Anordnung einer Sicherheitsleistung aufgehoben hat. Das Finanzamt
hatte sich gegen die Stattgabe gewandt und die Bauträgerin gegen die
Sicherheitsleistung.
Quelle: BFH, Beschluss vom 26.9.2023 – V B 23/22 (AdV);
NWB