Steuerpflicht von Streubesitzdividenden

Zwar sind Dividenden, die eine Kapitalgesellschaft von einer
anderen Kapitalgesellschaft erhält, steuerpflichtig, wenn die Beteiligung zu
Beginn des Kalenderjahres weniger als 10 % beträgt (sog.
Streubesitzdividenden). Bei der Ermittlung des Umfangs der Beteiligung sind
aber auch Anteile zu berücksichtigen, die zwar noch nicht im zivilrechtlichen
Eigentum der Gesellschafterin, wohl aber in ihrem wirtschaftlichen Eigentum
stehen.

Hintergrund: Ist eine
Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft beteiligt, ist die
Dividende grundsätzlich zu 95 % steuerfrei. Dies gilt jedoch nicht für sog.
Streubesitzdividenden, bei denen die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres
weniger als 10 % beträgt.

Sachverhalt: Die Klägerin war
eine GmbH, die an der Y-AG beteiligt war. Ihre Beteiligung betrug im Jahr 2013
nur 9,898 %. Sie kaufte mit Vertrag vom 16.12.2013 weitere Aktien im Umfang von
0,10625 %, um so zu Beginn des Jahres 2014 eine Beteiligungsquote von 10,00425
% zu erreichen. Der Kaufvertrag stand unter der aufschiebenden Bedingung der
vollständigen Zahlung des Kaufpreises. Die Klägerin tätigte zwar am 16.12.2013
die Überweisung; allerdings wurde die Überweisung nicht richtig ausgeführt,
sondern löste bei der Klägerin eine Gutschrift aus. Erst nach dem 1.1.2014
überwies die Klägerin den Kaufpreis an den Verkäufer. Die Klägerin erhielt im
Streitjahr 2014 Dividenden von der Y-AG. Die Klägerin ging von einer
Steuerfreiheit zu 95 % aus, während das Finanzamt steuerpflichtige
Streubesitzdividenden annahm, da die Klägerin zu Beginn des Jahres 2014 nicht
zu mindestens 10 % unmittelbar an der Y-AG beteiligt gewesen war.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage statt:

  • Die Dividenden waren keine steuerpflichtigen
    Streubesitzdividenden, sondern reguläre Dividenden, die zu 95 % steuerfrei
    waren.

  • Zwar war die Klägerin zu Beginn des Kalenderjahres
    zivilrechtlich nur mit weniger als 10 % an der Y-AG beteiligt, nämlich mit
    9,898 %. Denn sie hatte das zivilrechtliche Eigentum an den mit Kaufvertrag vom
    16.12.2013 gekauften Anteilen im Umfang von 0,10625 % am 1.1.2014 noch nicht
    erlangt; die Abtretung der Anteile an die Klägerin stand nämlich unter der
    aufschiebenden Bedingung, dass die Klägerin den Kaufpreis vollständig bezahlt.
    Dies ist erst nach dem 1.1.2014 erfolgt, nachdem die erste Überweisung vom
    16.12.2013 fehlgeschlagen war.

  • Die Klägerin hatte aber am 1.1.2014 bereits das
    wirtschaftliche Eigentum an den mit
    Kaufvertrag vom 16.12.2013 gekauften Anteilen im Umfang von 0,10625 %
    erlangt. Ihr stand ein Anwartschaftsrecht
    zu, da sie es selbst in der Hand hatte, den Kaufpreis zu bezahlen. Der
    Verkäufer konnte sich nicht mehr vom Kaufvertrag lösen. Und die Chancen und
    Risiken aus den erworbenen Anteilen standen allein der Klägerin zu, da der
    Kaufpreis feststand.

  • Für eine Beteiligung von mindestens 10 % genügt das
    wirtschaftliche Eigentum, da die Vorschrift über Streubesitzdividenden auf die
    allgemeine Vorschrift zur Zurechnung von Wirtschaftsgütern mittelbar Bezug
    nimmt und für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern das wirtschaftliche Eigentum
    ausreicht.

Hinweise: Der Fall betrifft
Dividenden einer Kapitalgesellschaft, die an eine andere Kapitalgesellschaft
ausgeschüttet werden. Derartige Dividenden sind zu 95 % steuerfrei, sofern es
sich nicht um Streubesitzdividenden handelt.

Trotz der Steuerpflicht von Streubesitzdividenden ist der Verkauf
einer Streubesitzbeteiligung zu 95 % steuerfrei.

Hat eine Kapitalgesellschaft zu Beginn des Jahres lediglich eine
Streubesitzbeteiligung, d.h. zu weniger als 10 %, kann sie im Laufe des Jahres
noch eine Beteiligung von mindestens 10 % hinzuerwerben. Das Gesetz fingiert
dann, dass der Hinzuerwerb zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt ist; damit
besteht dann in diesem Jahr keine Streubesitzbeteiligung mehr, so dass die
Dividenden zu 95 % steuerfrei sind.

Quelle: BFH, Urteil v. 7.6.2023 – I R 50/19; NWB