Aktuelles

  • Fristversäumnis bei Klageerhebung

    Fristversäumnis bei Klageerhebung

    Zwar kann der Steuerpflichtige Zweifel darlegen, dass eine Einspruchsentscheidung nicht bereits am dritten Tag nach Aufgabe zur Post bei ihm eingegangen ist, sondern erst zu einem späteren Tag. Verwendet der Steuerpflichtige oder sein Bevollmächtigter aber ein elektronisches Posteingangsbuch, muss dieses laufend geführt und jeder Posteingang zeitnah eingetragen werden. Enthält das elektronische Posteingangsbuch zahlreiche Eintragungen, die erst mehrere Wochen nach tatsächlichem Zugang des Bescheids bzw. der Einspruchsentscheidung vorgenommen wurden, ist es nicht geeignet, Zweifel an einem Zugang innerhalb von drei Tagen nach Aufgabe zur Post zu begründen. Hintergrund: Nach dem Gesetz gilt ein Bescheid am dritten Tage nach Aufgabe zur Post durch das Finanzamt als bekannt gegeben, es sei denn, er ist zu einem späteren Tag oder gar nicht zugegangen. Mit Ablauf des Tags der Bekanntgabe des Bescheids beginnt die Einspruchsfrist oder – bei Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung – die Klagefrist. Sachverhalt: Der steuerlich vertretene Kläger hatte Einspruch gegen seinen Steuerbescheid eingelegt. Das Finanzamt wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung zurück, adressierte die Einspruchsentscheidung an die Steuerberaterin des Klägers und gab die Einspruchsentscheidung am 11.11.2021, einem Donnerstag, zur Post auf. Am 17.12.2021 erhob die Steuerberaterin bei Gericht Klage. Sie machte geltend, dass die Einspruchsentscheidung erst am 17.11.2021 bei ihr im Büro eingegangen sei, und legte als Nachweis ein elektronisches Posteingangsbuch vor. In diesem Posteingangsbuch war die Einspruchsentscheidung unter der laufenden Nummer 89 mit dem Eingangsdatum 17.11.2021 eingetragen; die beiden nächsten Einträge mit dem Eingangsdatum 17.11.2021 enthielten die Nummern 206 und 90. Auch zahlreiche weitere Eintragungen enthielten keine fortlaufende Nummer. Entscheidung: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg (FG) wies die Klage ab: Der Kläger hat die Klagefrist nicht eingehalten. Denn die Einspruchsentscheidung wurde am 11.11.2021, einem Donnerstag, zur Post aufgegeben und galt damit nach dem Gesetz als drei Tage später bekannt gegeben. Da der dritte Tag, der 14.11.2021, ein Sonntag war, verschob sich die Bekanntgabe auf den Montag, den 15.11.2021. Die Klagefrist endete am 15.12.2021, so dass die am 17.11.2021 erhobene Klage verfristet war. Der Kläger hat keine Zweifel an einer Bekanntgabe am 15.11.2021 begründet. Denn das von seiner Steuerberaterin geführte elektronische Posteingangsbuch war nicht geeignet, einen tatsächlichen Zugang der Einspruchsentscheidung erst am 17.11.2021 darzulegen. Die Eintragungen im elektronischen Posteingangsbuch sind nicht fortlaufend, lückenlos und zeitnah erfolgt. So sind die Posteingänge, die am 17.11.2021 eingegangen sein sollen, mit den Nummern 89, 90 und 206 erfasst worden. Die Nummern 91 bis 205 sind hingegen an anderen Daten eingetragen worden. Auch weitere Einträge sind nicht fortlaufend erfolgt. Hinweise: Bei einem verspäteten Eingang des Bescheids bzw. der Einspruchsentscheidung nach Ablauf der drei Tage, die der Gesetzgeber als Postlaufzeit fingiert, kann der tatsächlich spätere Eingang durch ein ordnungsgemäß geführtes Fristenkontrollbuch sowie durch den Briefumschlag, aus dem sich ggf. ein Poststempel von einem späteren Tag ergibt, und einen Eingangsstempel oder -vermerk nachgewiesen werden. Um sicherzugehen, dass die Einspruchs- bzw. Klagefrist gewahrt wird, empfiehlt es sich allerdings, die Frist nicht vollständig auszuschöpfen, sondern die Einspruchs- bzw. Klagefrist auf der Grundlage der dreitägigen Bekanntgabefiktion zu errechnen und den Einspruch bzw. die Klage bis zum Ablauf dieser errechneten Frist einzulegen. Quelle: FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 2.8.2022 – 16 K 16191/21; NWB

  • Aussetzung der Vollziehung bei Verlustuntergang wegen mehr als 50%iger Anteilsübertragung

    Aussetzung der Vollziehung bei Verlustuntergang wegen mehr als 50%iger Anteilsübertragung

    Der Bundesfinanzhof (BFH) gewährt eine Aussetzung der Vollziehung, wenn der steuerliche Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft aufgrund einer Anteilsübertragung von mehr als 50 % auf einen Erwerber innerhalb von fünf Jahren untergeht. Dem BFH zufolge ist die Aussetzung der Vollziehung aufgrund der verfassungsrechtlichen Zweifel an der gesetzlichen Regelung zum Verlustuntergang gerechtfertigt. Hintergrund: Nach dem Gesetz geht der steuerliche Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft unter, wenn mehr als 50 % der Anteile innerhalb von fünf Jahren an einen Erwerber unmittelbar oder mittelbar übertragen werden. Zu einem Verlustuntergang kommt es jedoch nicht, soweit stille Reserven vorhanden sind. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte im Jahr 2017 die vorherige Gesetzesregelung, die bei einer Anteilsübertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % einen anteiligen Verlustuntergang vorgesehen hatte, für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin ist die aktuelle Regelung verabschiedet worden, die für den Verlustuntergang eine Anteilsübertragung von mehr als 50 % verlangt. Sachverhalt: Die Antragstellerin war eine GmbH, die zu einer U.S.-amerikanischen Kapitalgesellschaft gehörte und die über Verlustvorträge bei der Körperschaft- sowie Gewerbesteuer verfügte. Im Jahr 2016 übertrug die U.S.-amerikanische Muttergesellschaft 99 % der Anteile an der Antragstellerin auf einen einzelnen Erwerber. Das Finanzamt kürzte daraufhin den zum 31.12.2016 festgestellten Verlustvortrag bei der Körperschaft- und Gewerbesteuer, soweit die Verluste bis zum Tag der Anteilsübertragung entstanden waren. Die Antragstellerin legte hiergegen Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung.Entscheidung: Der BFH gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt: Eine Aussetzung der Vollziehung setzt ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids voraus. Derartige ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit ergeben sich aus der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der vorherigen gesetzlichen Regelung, die einen anteiligen Verlustuntergang bei einer Anteilsübertragung von mehr als 25 % bis 50 % vorsah. Diese Vorgängerregelung war der heutigen Regelung ähnlich, so dass die vom BVerfG festgestellte Verfassungswidrigkeit auf ernstliche Zweifel an der Verfassungswidrigkeit der aktuellen Regelung hindeutet. Der Gesetzgeber hat sich bei der Verabschiedung der aktuellen Regelung trotz seines Wissens von der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelung gegen eine mögliche Neuausrichtung des Verlustuntergangs entschieden. Zudem gibt es im Streitfall auch Zweifel, ob die Antragstellerin über steuerpflichtige stille Reserven verfügt und aus diesem Grund der Verlustvortrag erhalten bleiben könnte. Hinweise: Der BFH lehnt eine Aussetzung der Vollziehung, die auf verfassungsrechtliche Zweifel gestützt wird, häufig ab. Denn dann würden viele Gesetze, bei denen es verfassungsrechtliche Zweifel gibt, aufgrund einer Aussetzung der Vollziehung erst einmal nicht umgesetzt werden können und der Bundeshaushalt beeinträchtigt werden. Deshalb verlangt der BFH häufig ein besonderes Aussetzungsinteresse, z.B. eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz. Im Streitfall ergab sich das besondere Aussetzungsinteresse aus der bereits vom BVerfG festgestellten Verfassungswidrigkeit zur Vorgängerregelung, die in vielen Einzelpunkten der aktuellen Regelung ähnelt. Zur aktuellen Regelung ist bereits seit fast sechs Jahren ein Verfahren beim BVerfG anhängig. Es ist unklar, wann dieses Verfahren endlich entschieden wird. Quelle: BFH, Beschluss v. 12.4 2023 – I B 74/22 (AdV); NWB

  • Kein Steuerstundungsmodell bei aktiver Betätigung des Steuerpflichtigen

    Kein Steuerstundungsmodell bei aktiver Betätigung des Steuerpflichtigen

    Ein Steuerstundungsmodell, dessen Verluste grundsätzlich nicht ausgleichsfähig sind, liegt nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige ein vorgefertigtes Konzept vorfindet, das er nur noch anzunehmen braucht, so dass er sich wie ein passiver Anleger verhält. Ist der Steuerpflichtige hingegen in der Weise aktiv, dass er bei der Gestaltung des Konzepts mitwirkt, handelt es sich nicht um ein Steuerstundungsmodell, so dass seine Verluste in vollem Umfang ausgleichsfähig sind. Hintergrund: Verluste aus einem Steuerstundungsmodell sind nach dem Gesetz nicht mit anderen positiven Einkünften ausgleichbar. Sie sind lediglich verrechenbar und können nur mit künftigen positiven Einkünften aus dem Steuerstundungsmodell verrechnet werden. Ein Steuerstundungsmodell liegt vor, wenn aufgrund einer modellhaften Gestaltung negative Einkünfte erzielt werden sollen. Eine modellhafte Gestaltung ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige aufgrund eines vorgefertigten Konzepts die Möglichkeit erhält, zumindest in der Anfangsphase der Investition Verluste mit übrigen Einkünften zu verrechnen.Sachverhalt: Die Klägerin war eine KG, die von A und B im Jahr 2006 gegründet wurde und an der sich C als atypisch stiller Gesellschafter beteiligte. B hatte im Jahr 2006 hohe Einkünfte erzielt. Bei der Gründung der KG hatte der Rechtsanwalt und Steuerberater R mitgewirkt, der von B beauftragt worden war, eine Anlagestruktur mit steuerlichem Verlustverrechnungspotenzial zu begründen. R empfahl eine Treuhandstruktur; dieser Empfehlung folgten A, B und C aber nicht, sondern gründeten die KG selbst (A und B) bzw. beteiligten sich als stiller Gesellschafter (C). Die KG erwarb dann Schuldverschreibungen, deren Erwerb durch Bankdarlehen finanziert wurde, bei deren Auszahlung ein Disagio abgezogen wurde. An den Verhandlungen mit den Banken nahmen A, B und C sowie R teil. Im Jahr 2006 erzielte die KG einen Verlust, den das Finanzamt als Verlust aus einem Steuerstundungsmodell ansah, so dass er mit den positiven Einkünften von A, B und C nicht verrechnet werden konnte. Gegen diese Feststellung klagte die KG.Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage statt: Eine Beteiligung an einem Steuerstundungsmodell kann dadurch begründet werden, dass man sich an einem geschlossenen Fonds, der ein Steuerstundungsmodell umsetzt, beteiligt oder indem eine Einzelinvestition in Gestalt eines Steuerstundungsmodells getätigt wird. A, B und C haben sich nicht an einem geschlossenen Fonds beteiligt, denn die KG hatte keinen geschlossenen Anlegerkreis. Vielmehr hätten nach dem Gesellschaftsvertrag der KG noch weitere Anleger der KG beitreten können. Es handelte sich jedoch um eine Einzelinvestition, da die KG eine Schuldverschreibung gezeichnet hat. Allerdings liegt ein Steuerstundungsmodell nur dann vor, wenn die Investition aufgrund eines vorgefertigten Konzepts erfolgt und sich der Anleger passiv verhält, also das ihm vorgelegte Konzept „abnickt“. Im Streitfall haben A, B und C kein vorgefertigtes Konzept vorgefunden, das sie lediglich übernommen haben, sondern sie haben an der Gestaltung und dem Entwurf des Konzepts aktiv mitgewirkt. So haben sie die KG gegründet (A und B), sind von dem Vorschlag des R, ein Treuhandmodell umzusetzen, abgewichen und haben zusammen mit R eigenständige Verhandlungen mit den Banken geführt. Zudem war B auch geschäftsführender Kommanditist. Hinweise: Das Urteil hat zur Folge, dass der von der KG erzielte Verlust von A, B und C im Umfang ihrer jeweiligen Beteiligungsquote mit ihren positiven Einkünften verrechnet werden kann und damit ihre Einkommensteuerlast mindert. Hätte das Finanzamt Recht bekommen, hätten A, B und C warten müssen, bis die KG eines Tages Überschüsse erzielt, und erst dann den lediglich verrechenbaren Verlust zur Verrechnung mit diesen Überschüssen nutzen können. Der Verlust der KG ergab sich insbesondere aus dem Disagio des aufgenommenen Bankdarlehens, das in voller Höhe als Werbungskosten abziehbar war, sowie aus den Zinsen für dieses Darlehen. Der BFH macht deutlich, dass steuerliche Vorschriften, die zu Verlusten führen, durchaus von Einzelinvestoren genutzt werden können. Verhindert werden soll aber, dass derartige Vorschriften konzeptionell aufgearbeitet werden und einer Vielzahl von Anlegern angeboten werden. Quelle: BFH, Urteil v. 16.3.2023 – VIII R 10/19; NWB